Angst bei Kindern – Helfen Sie bei der Bewältigung

Die Angst gehört zum Leben, genau wie die Freude oder Wut. Angst kann sogar überlebenswichtig sein, wenn sie uns z. B. vor Verletzungen schützt. Angst motiviert uns, wichtige Veränderungen herbeizuführen oder uns einer notwendigen Neuorientierung zu stellen. Ein gesundes Maß an Angst hilft uns, achtsam durchs Leben zu gehen. Doch Angst bei Kindern und Erwachsenen kann auch lähmen und einschränken. Dann hat sie das Maß einer schützenden und positiven Kraft überschritten und kehrt sich ins Gegenteil: Sie hemmt Entwicklung und seelisches Wachstum.

Lesen Sie hier unsere 7 Tipps, wie Sie mit Angst bei Kindern umgehen und den betroffenen Kindern helfen, ihre Ängste zu bewältigen und sogar daran zu wachsen – denn Angst kann auch stark machen.

Wie sich Angst bei Kindern ausdrücken kann – Zwei Beispiele

Elena ist beim Radfahren gestürzt. Nun wirkt sie beim Radfahren zunächst ängstlich, überwindet dann aber ihre Furcht, wieder zu fallen. Sie fährt aber auffallend sicherheitsorientierter als zuvor. Die Angst hat Elena also nicht gelähmt, sondern vorsichtiger werden lassen. Und Elena hat erfahren, dass sie Angst überwinden kann und ihr nicht ausgeliefert bleiben muss – eine stärkende Erfahrung für ihr Leben. Ganz anders Timo: Er wurde von einem stürmischen Hund umgerannt und hat jetzt große Angst vor Hunden. Auf Spielplätze traut er sich nur noch mit seiner Mutter, Spaziergänge vermeidet er, oft bekommt er vorher Bauchschmerzen. Timo wird von seiner Angst geschwächt und in seinen Möglichkeiten eingeschränkt. Sicher kennen Sie aus Ihrer Gruppe sowohl Kinder, die mit einer gesunden Angst ausgestattet sind, als auch solche, die unter belastenden Ängsten leiden.

Angst bei Kindern – Was genau steckt dahinter?

Die Angst kann als Warnsystem unseres Körpers verstanden werden, das dann Alarm schlägt, wenn der eigene Körper, die Seele oder wichtige Bezugspersonen in Gefahr sind oder zu sein scheinen. Angst kann von verschiedenen Ursachen ausgelöst werden, wie

  • Bedrohungen von außen, z. B. Angst vor der Dunkelheit, vor Hunden,
  • bedrohlichen inneren Bildern, Vorstellungen oder Fantasien, z. B. das Monster unter dem Bett, befürchtete Naturkatastrophen,
  • Veränderungen in der Person, z. B. durch Übergänge in andere Lebensabschnitte wie der Schulbeginn,
  • körperlichen Veränderungen, z. B. durch Krankheit oder Wachstum.

So erhöht ein gewisser Angstpegel die Aufmerksamkeit bei gefährlichen Situationen. Bleibt der Angstpegel allerdings über einen längeren Zeitraum hinweg erhalten, beginnt eine Negativspirale. Dann lässt die Aufmerksamkeit nach, das Denken und Handeln sind eingeschränkt, in Prüfungen droht der Blackout. Um diese lähmende, negative Angst zu erkennen, ist es wichtig zu wissen, dass Angst auf verschiedenen Ebenen auftritt, wie auf der

  • Ebene des Verhaltens, z. B. reflexartige Flucht,
  • Ebene des Körpers, z. B. Zittern, flache Atmung, schneller Puls,
  • Ebene der Gefühle, z. B. Hilflosigkeit,
  • Ebene der Gedanken, z. B. negative Bewertung oder Einschätzung.

In gesundem Maße gehört die Angst also einfach zum Leben und stellt ein durchaus wichtiges Gefühl dar. Wenn Kinder allerdings von ihrer Angst gehemmt und in ihrer Entwicklung und ihrem Wohlbefinden gestört werden, dann brauchen sie Ihre sichere und liebevolle Begleitung. Setzen Sie folgende Tipps um, um den Kindern zu helfen, mit ihrer Angst umzugehen und so daran zu wachsen.

1. Tipp: Angst gehört dazu – Akzeptieren Sie dieses Gefühl

Angst gehört dazu, sie ist wichtig. Sehen Sie Angst bei Kindern nicht als Schwäche oder übertriebenes Verhalten. Erkennen Sie vielmehr an, dass die Angst zu manchen Kindern gehört. Diese Haltung vermitteln Sie den Kindern ganz ohne Worte. Die Kinder wissen sich durch eine wertschätzende und verständnisvolle Haltung akzeptiert und anerkannt. Diese Sicherheit ist bei den Kindern eine Grundvoraussetzung, um sich mit ihrer Angst auseinandersetzen zu können.

2. Tipp: Vernunft hilft nicht – Nehmen Sie Aussagen ernst

„Da brauchst du doch keine Angst zu haben!“, „Der Hund tut doch nichts!“ oder „Es gibt keine Gespenster!“ All diese richtigen und vernünftigen Sätze helfen dem Kind nicht im Geringsten gegen seine Angst. Können Sie sich selbst daran erinnern, solche Sätze gehört zu haben, z. B. vor einer Prüfung selbst: Diese gut gemeinten Ratschläge nehmen in keinster Weise die Angst, eher bewirken sie das Gegenteil: Man fühlt sich minderwertig und nicht ernst genommen, weil man eben trotzdem Angst hat.

Achten Sie deshalb besonders darauf, Kindern, die ihre Angst äußern, keine solchen vernünftigen bis ignorierenden Antworten zu geben. Fragen Sie vielmehr nach: „Was macht dir denn genau Angst?“ oder „Erzähle mir von deiner Angst!“ Damit zeigen Sie dem Kind, dass sein Gefühl normal und überwindbar ist, wenn man es genau anschaut und auch zusammen darüber nachdenkt.

3. Tipp: Keine Drama-Queens – Nehmen Sie Spannung weg

„Du Arme, wie viel Angst musst du gehabt haben!“ nimmt keinem Kind die Angst. Eher wird sie noch verstärkt, weil dieser Satz suggeriert, dass es tatsächlich einen wichtigen Grund zur Angst gab. Dann gibt es auch ängstliche Kinder, die sich regelrecht in ihre Angst hineinsteigern. Auch das ist nicht hilfreich und sollte deshalb von Ihnen unterbunden werden. Nehmen Sie das Kind dann möglichst ruhig aus der Situation oder fordern Sie streng: „Du hörst jetzt bitte auf, so laut zu schreien!“, wenn das Verhalten des Kindes völlig unangemessen ist. Damit vermeiden Sie auch, dass es lernt, so Aufmerksamkeit zu erreichen. Anschließend besprechen Sie mit dem Kind, was es denn so ängstlich gemacht oder aufgeregt hat.

4. Tipp: Aktiv gegen Angst – Beleben Sie die Kräfte des Kindes

Niemand muss der Angst hilflos ausgeliefert sein, sondern kann aktiv etwas dagegen tun. Dazu können Sie die Kinder anleiten, indem Sie gemeinsam kreativ werden. Fragen Sie z. B., warum der Hund so große Angst macht. „Weil er so scharfe Zähne hat“, begründet das Kind. Nun können Sie das Kind beispielsweise malen lassen, wie der Hund mit seinen scharfen Zähnen aussieht. Anschließend verpassen Sie dem Hund einen dicken Maulkorb. Die Monster, die hinter der Toilettentür lauern, können erschreckt werden, und die Angst vor fremden Menschen kann besiegt werden, wenn diese in der Vorstellung „geschrumpft“ werden.

Wichtig dabei: Die Kinder müssen in die Lösung mit einbezogen werden, besser noch sollte die Lösung von ihnen selber kommen. Falls Ihnen nicht sofort ein guter Gedanke zur Lösung einfällt, geben Sie sich einfach etwas Zeit: „Lass uns beide noch bis heute Nachmittag überlegen, dann reden wir noch einmal darüber!“

5. Tipp: Auch Große haben Angst – Geben Sie ein gutes Beispiel

Sprechen Sie mit den Kindern über Ängste, und erklären Sie, dass jeder Mensch manchmal Angst hat. Erläutern Sie, warum Angst sogar sehr wichtig sein kann. Wovor hatten Sie als Kind Angst? Erzählen Sie das doch einmal den Kindern. Es kann sehr entlastend sein, wenn Kinder erfahren, dass auch Sie Angst hatten und wie Sie damit umgegangen sind.

6. Tipp: Kleine Schritte gegen Angst – Konfrontieren Sie das Kind

Meist haben Kinder Angst vor Situationen, die objektiv betrachtet keine große Furcht auslösen müssten. Wagen Sie sich dann mit den Kindern in kleinen Schritten in diese Situationen hinein, und stellen Sie sich gemeinsam der Angst. Hunde können Sie z. B. von weitem betrachten, das Toilettenmonster können Sie Hand in Hand mit dem Kind suchen. Wenn die Kinder eigene Ideen zur Angstbewältigung äußern und es für Sie und die Gruppe akzeptabel ist, sollten Sie diese möglichst umsetzen. Phobien entstehen in der Regel, wenn der Mensch kein Korrektiv zu seiner Angst erfährt. Er wird Hunden immer mehr ausweichen und keine guten Erfahrungen mehr mit Hunden machen können. So kann er auch nicht erleben, dass seine Angst unnötig ist. Indem Sie den Kindern Unterstützung bieten, sich gemeinsam gegen die Angst zu stellen, stellen Sie dieses Korrektiv her.
Praxistipp: „Gemeinsam sind wir stark!“ Machen Sie sich dieses Motto auch in der Angstbewältigung zu eigen. Streicheln, eine Umarmung oder ein fester Händedruck zur Versicherung sind viel stärkender als alle beruhigenden Worte. Vielleicht können Sie mit dem Kind einen Talisman basteln, der in der Hosentasche Platz findet und imaginäre Kraft spenden kann.

7. Tipp: Wenn nichts hilft – Erkennen Sie Ihre Grenzen

Auch schon im Kindesalter können sich Ängste zu einer Angststörung oder gar Panikattacken ausweiten. In diesem Fall müssen Sie Ihre Grenzen anerkennen, wenn all Ihre Bemühungen nicht helfen. Beraten Sie dann die Eltern, dringend einen Kinderpsychologen aufzusuchen. Denn je schneller die Angststörung behandelt wird, desto weniger hemmend wird sie sich auf die Entwicklung des Kindes auswirken.

Wie stolz wird Timo den Hund streicheln, wenn er seine Angst vor Hunden überwunden hat. Er wird sich stark und kompetent fühlen und mit großer Freude seinen wieder gewonnenen Freiraum genießen. Mit der Umsetzung der genannten Tipps geben Sie den Kindern Sicherheit und Halt und ermutigen sie, konstruktiv mit der Angst umzugehen und diese zu überwinden. Dann wird das eintreten, was auf den ersten Blick paradox klingt: Angst macht stark.