Autismus bei Kindern – So erkennen Sie die Signale

Seit „Rain Man“ hat Autismus ein Gesicht. In diesem Film spielte Dustin Hoffman 1988 den autistischen Bruder von Tom Cruise. „Rain Man“ zeigt eindrücklich und durchaus realistisch, was Menschen mit Autismus ausmacht: nämlich besondere Fähigkeiten ebenso wie besondere Schwierigkeiten, sich in einer für andere Menschen normalen Umgebung zurechtzufinden.

Die genauen Ursachen für Autismus sind noch unklar. Sicher ist allerdings, dass sowohl die Genetik als auch hirnorganische Faktoren, wie z. B. Sauerstoffmangel während der Geburt, eine wichtige Rolle spielen. Die Angaben über die Häufigkeit von Autismus bei Kindern schwanken je nach Studie bei 1.000 Kindern zwischen 4 und 10 Betroffenen.

Die Bandbreite von Autismus ist groß

3 Hauptbereiche werden unterschieden:

  • Kanner-Syndrom: Dieser frühkindliche Autismus weist eine Intelligenzminderung auf, die bereits im Kleinkindalter auftritt. Die Kinder sind nicht in der Lage zu sprechen und zeigen stereotypes Verhalten.
  • Asperger-Syndrom: Die Kinder zeigen durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenzleistungen, haben aber Schwierigkeiten in der Sprache, mit der Motorik und im Sozialverhalten und entwickeln ungewöhnliche Fähigkeiten und Interessen.
  • So genannte atypische autistische Störungen lassen sich keinem der beiden Autismustypen zuordnen. Bereits im 1. Lebensjahr können sich deutliche Hinweise auf eine autistische Störung zeigen. Das Baby lächelt nicht zurück, vermeidet Blickkontakt oder weint lange ohne ersichtlichen Grund. Möglicherweise sind aber auch sprachliche Schwierigkeiten oder Hörfehler die Ursache. Spätestens ab dem 2. Bis 3. Lebensjahr sind die Anzeichen für Autismus bei Kindern eindeutig.

Eine genaue Diagnose ist wichtig

Unten auf der Seite finden Sie die Merkmale und Signale für Autismus bei Kindern übersichtlich zusammengestellt. Können Sie bei der Beobachtung eines Kindes mehrere dieser Hinweise aus jedem Entwicklungsbereich feststellen, sollten Sie dringend das Gespräch mit den Eltern suchen. Auch sie haben sicher bereits beobachtet, dass sich ihr Kind ungewöhnlich entwickelt. Raten Sie den Eltern zu einer differenzierten Abklärung in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik. Je früher der Autismus diagnostiziert wird, desto bessere Therapieerfolge zeigen sich. Wirklich sicher nachweisen kann man eine autistische Störung etwa ab dem 2. Lebensjahr. Dabei werden meist 2 Diagnoseverfahren parallel angewandt: Die Eltern füllen Fragebogen aus und das Kind wird in bestimmten Situationen beobachtet.

Das können Sie tun

Tim ist noch nicht ganz 3 Jahre alt und zeigt deutliche Merkmale eines autistischen Syndroms. Seine Eltern absolvieren zahlreiche ärztliche Termine mit ihm, um eine genaue Diagnose zu erhalten. Wenn die Eltern befürchten müssen, dass ihr Kind an Autismus erkrankt ist oder autistische Züge trägt, steht oft die Frage nach dem Warum für sie im Vordergrund. Machen Sie ihnen im Gespräch immer wieder deutlich, dass es keine Erziehungsfehler waren, die das autistische Syndrom hervorgerufen haben. Tim ist auch nicht „schlecht erzogen“, wenn er in der Öffentlichkeit unangemessenes Verhalten zeigt.

Klären Sie mit den Eltern nach der Diagnose, wie es für Tim weitergehen wird. Kann er in Ihrer Einrichtung bleiben? Gibt es Integrationsmaßnahmen, die ihn in Ihrer Einrichtung zusätzlich unterstützen? Überlegen Sie im gesamten Team, ob Ihre Einrichtung über ausreichend Ressourcen und Fachkompetenz verfügt, ein autistisches Kind zu integrieren.

Sind alle organisatorischen Fragen geklärt, können Sie eine ganze Menge dafür tun, dass Tim und alle anderen Kinder viel voneinander lernen:

  • Sprechen Sie immer wieder mit den gesunden Kindern, denn diese merken schnell, dass „mit Tim etwas nicht stimmt“. Erklären Sie ihnen, welche Schwierigkeiten Tim hat und warum er manchmal solch ein verstörendes Verhalten zeigt. Bieten Sie den Kindern konkrete Anregungen, um mit Tim in Kontakt zu kommen.
  • Achten Sie auf Regelmäßigkeit und strukturierte Abläufe ebenso wie auf eine zuverlässige und durchschaubare Ordnung. So helfen Sie Tim, weniger  Angst, Unsicherheit oder Aggression zu zeigen.
  • Lassen sich Veränderungen im Alltag nicht vermeiden, bereiten Sie Tim gut darauf vor, indem Sie immer wieder davon sprechen und auf klare Ansagen achten.
  • Autistische Kinder wie Tim ertragen oft nur schwer körperliche Nähe. Sie wollen nicht angefasst oder in den Arm genommen werden. Achten Sie auf dieses Bedürfnis von Tim. Nutzen Sie die Möglichkeit, mit allen Kindern über ihre Erfahrungen mit Nähe zu sprechen. Sicher werden Sie dadurch einen guten Weg finden, Tims Verhalten zu erklären und zu verdeutlichen, dass das kein Zeichen von Ablehnung sein muss. Vielmehr sucht Tim auf seine Weise Nähe.
  • Finden Sie die Stärken und Vorlieben von Tim heraus. Was kann er gut? In welchen Situationen fühlt er sich wohl? Das gezielt zu fördern stärkt die Beziehung zwischen Ihnen und Tim.
  • Beraten Sie sich eng mit dem behandelnden Therapeuten. Sicher bekommen Sie hier eine Reihe weiterer hilfreicher Tipps.

„Autisten haben keine Gefühle und wollen für sich bleiben!“, so lautete lange die allgemeine Meinung. Äußerungen von zahlreichen Betroffenen zeigen, dass das keineswegs stimmt und sie unter dieser Fehlinterpretation leiden. Gerade im Umgang mit anderen Kindern können sich autistische Kinder durch genaues Beobachten Emotionen und Verhaltensweisen ihrer Umgebung erschließen.

Ihr Gruppenalltag ist durch ein autistisches Kind sicher schwieriger und aufwändiger zu gestalten, doch die Chance, dass alle voneinander lernen können, lohnt diesen Aufwand. Die gesunden Kinder üben sich in Toleranz, Respekt und Hilfsbereitschaft und erkennen, dass jeder Mensch anders und ganz besonders ist. So fühlt sich das autistische Kind anerkannt und erlebt sich als Teil einer Gruppe, in der es akzeptiert wird – für die Zukunft eine der wichtigsten Grundlagen!

Tabelle: Merkmale und Besonderheiten autistischer Kinder

Sprache Keine normale aktive Sprachentwicklung, fehlendes Sprachverständnis, Gesprächspartner wird z. B. durch Am-Ärmel-Ziehen aufmerksam gemacht Meist werden Nomen und Verben gebraucht Äußerungen bestehen aus 1-Wort-Sätzen Echolalie, das heißt, Fragen oder Äußerungen des Gesprächspartners werden wörtlich wiederholt Sprache wird kaum durch Gesten oder Mimik unterstützt Probleme, Gesten und Mimik des Gegenübers zu deuten Sprachliche Äußerungen sind meist nicht der Situation entsprechend: ständiges Wiederholen bestimmter Sätze, bizarre Äußerungen, Wortneuschöpfungen, häufige Floskeln Auffällige Betonungen, z. B. sehr leise, hoch, monoton oder schnell Untypische Reaktionen auf Geräusche und Laute, z. B. reagiert das Kind nicht auf sehr laute Töne oder Sprache, ist besonders von Raschel- oder Rauschtönen fasziniert, zeigt unerklärliche Angst, reagiert heftig auf bestimmte Laute
Wahrnehmung Individuelle Bevorzugung bestimmter Geräusche, z. B. Motorgeräusche, Haushaltsgeräte, Wasserrauschen etc. Individuelle Bevorzugung bestimmter optischer Reize, z. B. Glitzern, Lichtreflexe, gleichmäßige Bewegungen Individuelle Bevorzugung bestimmter taktiler Reize, z. B. Kratzen, Streichen über bestimmte Oberflächen Bevorzugt den Geruchssinn („schnüffelt“) und Geschmackssinn (ablecken) gegenüber dem Sehen und Hören Beobachtet intensiv gleichförmige Bewegungen Scheint überempfindlich gegenüber bestimmten Reizen Reagiert heftig auf Berührungen, z. B. Ablehnung sanfter Berührungen oder Umarmungen, bevorzugt heftige, manchmal sogar schmerzhafte Reize Neigt dazu, sich selbst zu verletzen, z. B. mit dem Kopf anzuschlagen Vermeidet Blickkontakt

Sozialverhalten Reagiert nicht auf anwesende Personen Kann Gefühle anderer, deren Mimik und Gestik nicht deuten oder verstehen Kann eigene Gefühle kaum ausdrücken Zeigt große Schwierigkeiten im Spiel mit anderen Kindern Kann Handlungen von anderen nicht imitieren, kein „Lernen am Modell“ Stereotypes Spiel mit Gegenständen oder Spielmaterial, besondere Aufmerksamkeit für Details Zeigt keinen Forscherdrang oder Experimentierfreude, verharrt eher in gleichförmigen Abläufen

Weitere Besonderheiten Unregelmäßige Schlafgewohnheiten Zeigt keine Furcht vor realer Gefahr, sondern eher bei bestimmten ungefährlichen Situationen Entweder häufig erregt oder kaum erregt Zwanghaftes Festhalten an bestimmten Abläufen und Ritualen Roboterhafte, ungewöhnliche Bewegungen, z. B. Kopfrucken, Schaukeln

Besondere Fähigkeiten Besondere Begabungen bei Fertigkeiten, die nicht sprachgebunden sind, z. B. Musik, Rechnen, mechanisches oder elektrisches Spielzeug, Puzzle Ungewöhnliche Gedächtnisleistungen, z. B. langes Speichern von Details in der exakten Form