Sprichwörter wie „Lügen haben kurze Beine!“ oder „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!“ sollen eine abschreckende Wirkung erzielen. Doch dies funktioniert einfach nicht. Sicher ist es noch nicht lange her, dass auch Sie sich schmeichelhaft z. B. über eine unvorteilhafte Frisur geäußert haben. Bei Kindern sind Sätze wie „Ich habe überhaupt nichts gemacht!“ oder „Der hat angefangen!“ beliebt. Doch häufig sind sie gelogen.
Ihre 1. Lüge erzählen Kinder etwa mit 3 Jahren. Dabei ist ihnen noch nicht bewusst, dass sie etwas Falsches tun. Die Lüge ist meist eine Form von Wunschdenken oder die Folge ihres „magischen Denkens“. Die Grenzen von Wahrheit, Fantasie und Spiel verschwimmen noch.
Ab 5 Jahren können sich Kinder in andere Menschen hineinversetzen und begreifen, dass der andere weniger weiß als sie selbst. Sie erfahren, dass Lügen sich lohnen kann, z. B. weil sie damit eine Strafe umgehen können. Kinder müssen lernen, dass Lügen nicht akzeptiert werden, weder von Ihnen noch von den Eltern. Ihre Aufgabe ist es, die versteckte Botschaft hinter jeder Lüge zu entschlüsseln. Dadurch können Sie angemessen reagieren, um in Zukunft zu vermeiden, dass Kinder „es nötig haben“ zu lügen.
„Ich kann schon längst Rad fahren, was glaubt ihr denn?!“, lügt Tobias vor seinen Freunden. Er fühlt sich minderwertig und leidet an seinem geringen Selbstwertgefühl. Aus dem gleichen Grund erzählt Ihnen Sebastian: „Ich bin mit der Achterbahn für Erwachsene gefahren!“ Möglicherweise fühlt er sich von Ihnen nicht ausreichend beachtet. Die Kinder, die übertreiben und großtun, brauchen Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Verständnis. Klären Sie diese Lügen niemals vor anderen auf, um das Kind nicht zusätzlich zu beschämen.
Das Kind braucht viel und vor allem ehrliches Lob und Anerkennung für seine Fähigkeiten. Erklären Sie dem Kind allerdings durchaus, dass Sie seine Lügen durchschauen und diese nicht akzeptieren. Versuchen Sie, dem Kind im Gespräch seine besonderen Fähigkeiten bewusst zu machen.
„Ich habe das Glas nicht umgestoßen, das war Rita!“, sagt Lea, um einer vermeintlichen Strafe zu entgehen. Genauso Martin: „Das Buch war schon vollgekritzelt!“ Wie haben Sie reagiert, als Lea das letzte Mal ein Missgeschick passiert ist: vielleicht unwirsch und streng? Dann fürchtet Lea die Konsequenz zu Recht. Möglicherweise wurde Martin bei seinem letzten Streich vor der ganzen Gruppe ausgeschimpft und dadurch verletzt. Sie sollten Ihr Verhalten überdenken und möglicherweise ändern.
Natürlich kann die Lüge auch aus Erfahrungen mit den Eltern entstehen und mit Ihrem Verhalten nichts zu tun haben. Wichtig ist, dass die Ehrlichkeit weniger streng bestraft wird als die Lüge, z. B.: „Ich wünsche mir, dass das Kind, das dieses Bilderbuch vollgekritzelt hat, zu mir kommt und mir hilft, das alles wegzuradieren. Dann ist die Sache für mich erledigt.“
Verdächtigen Sie ein Kind der Lüge, sollten Sie das im 4-Augen-Gespräch äußern: „Ich glaube, dass du nicht ehrlich zu mir bist. Was ist der Grund dafür?“ Achten Sie auf ein vertrauensvolles Verhältnis zu dem Kind und nutzen Sie entspannte Situationen zum Beziehungsaufbau.
Diese Form der Lüge schauen sich Kinder bei den Erwachsenen ab. Die Mutter z. B. lobt das Essen vor der Oma und auf dem Nachhauseweg schimpft sie, wie ungenießbar alles war. Die Kinder glauben, dass Höflichkeits- oder Notlügen erlaubt sind, denn „Mama macht es ja auch so“. Sprechen Sie mit dem Kind auch über diese Form der Lüge. Erklären Sie, dass solche „Notlügen“ in seltenen Fällen erlaubt sind, um die Gefühle der anderen zu schonen. Machen Sie ebenso deutlich, dass es dennoch eine Lüge ist, die möglichst vermieden werden sollte.
Reagieren Sie konsequent, wenn Sie Kinder beim Lügen erwischen. Denn dieses Verhalten sollte sich keinesfalls festigen. Konfrontieren Sie deshalb das Kind mit seiner Lüge. Erklären Sie deutlich, aber dennoch verständnisvoll, wie wichtig es ist, bei der Wahrheit zu bleiben und damit die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Dabei können Sie auch von sich erzählen: wie wichtig Ihnen die Wahrheit ist und was geschehen kann, wenn Menschen oft lügen: Es glaubt ihnen keiner mehr und sie verlieren ihre Freunde, weil diese sich verletzt und traurig fühlen.
Natürlich ist es notwendig, dass Sie eigene Lügen vermeiden und die Kinder beim Fahrkartenkauf z. B. nicht jünger machen, als sie sind, um Fahrgeld zu sparen. Greifen Sie tatsächlich einmal vor den Kindern auf eine Notlüge zurück, erklären Sie das: „Ich habe zu Benno gesagt, dass ich seinen Hund prima finde, obwohl ich Hunde nicht ausstehen kann. Aber er war so stolz auf seinen Hund, dass er traurig gewesen wäre, wenn ich zu ihm gesagt hätte, dass ich seinen Hund nicht mag.“
Indem Sie angemessen auf Lügen und das zu Grunde liegende Verhalten des Kindes reagieren, bewahrheitet sich in Ihrer Gruppe ein anderes Sprichwort: „Kindermund tut Wahrheit kund.“