So bleiben Kindergartenkinder clean – Suchtprävention einmal anders

Die Weichen für eine spätere Suchtkarriere werden frühzeitig gestellt. Suchtgefährdung spielt bereits bei Kindern im Kindergartenalter eine Rolle. In diesem Alter nehmen Kinder das Konsumverhalten von Erwachsenen bewusst wahr. Sie beobachten, wie Eltern und Erzieherinnen mit legalen Genussmitteln umgehen, z. B. mit Zigaretten, Alkohol, Süßigkeiten oder Computerspielen. In Ihrer Kindertageseinrichtung können Sie die Kinder gezielt unterstützen und damit wertvolle Suchtprävention leisten.

Stärken Sie die Kinder

Eine Langzeitstudie des Mannheimer Zentralinstituts für seelische Gesundheit zeigt auf, dass sich die  Anlagen für Suchtmittelabhängigkeit bereits vor dem 10. Lebensjahr abzeichnen. Demnach werden folgende Kinder im Jugendlichenalter häufiger süchtig:

  • Kinder, die extreme motorische Unruhe zeigen,
  • Kinder, die oft die Unwahrheit sagen,
  • Kinder, die bereits im Kindergarten oder in der Schule große Disziplinprobleme haben,
  • Kinder, denen Sozialkontakte offensichtlich schwerfallen.

Achten Sie deshalb in Ihrer Einrichtung besonders auf alle Kinder, die Ihnen diesbezüglich auffallen, und versuchen Sie, diese in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstständigkeit zu stärken.

So geht’s

Sie nehmen Ihre suchtpräventiven Aufgaben wahr, wenn Sie

  • sich Suchtmittel bewusst machen, indem Sie z. B. kritisch darüber nachdenken, was für Sie persönlich ein Suchtmittel bedeutet,
  • auf Ihre eigene Vorbildhaltung achten, indem Sie z. B. nicht vor Kindern rauchen oder im Übermaß Getränke wie Kaffee oder Cola trinken,
  • die Eltern darüber informieren – z. B. an einem Elternabend -, dass so genannte Ersatzzuwendungen wie Fernsehen, Computerspiele, Süßigkeiten oder Geschenke niemals an die Stelle von Zuwendung, Gesprächen oder gemeinsamen Unternehmungen mit dem Kind treten können,
  • die Eltern immer wieder durch Elternbriefe, Elternabende oder Hospitationen von Ihrer suchtpräventiven Tätigkeit in der Kindertageseinrichtung in Kenntnis setzen,
  • insbesondere die Erziehungsziele Selbstständigkeit, Wertschätzung und Mündigkeit verfolgen. Damit werden die Kinder Ihrer Einrichtung gestärkt und erwerben Kompetenzen für ihre eigene Lebensgestaltung.

Suchtprävention muss im Kindergarten beginnen

Suchtprävention kann nicht früh genug beginnen. Sie verfehlt ihre Wirkung eher, wenn sie erst in der Schule anfängt, in einem Alter etwa, in dem die Kinder und Jugendlichen bereits 1. Erfahrungen mit legalen Genussmitteln sammeln konnten. Bereits im Kindergartenalter sollten die Kinder erleben können, was Suchtprävention bedeutet.

Suchtprävention ist kein einmaliges Projekt, sondern eine grundsätzliche Einstellung und eine Haltung, die sich in jeder Kindertageseinrichtung auf allen beschriebenen Ebenen zeigen sollte. Projektarbeit bietet Kindern in der Kindertageseinrichtung die Möglichkeit zu lernen, sich mit anderen Kindern auseinanderzusetzen, eigene Entscheidungen zu treffen und Selbstbewusstsein zu gewinnen. So „gestärkte“ Kinder brauchen weniger „Ersatzdrogen“ wie z. B. Süßigkeiten.

Ich möchte Ihnen nun 2 Ideen beschreiben, die eine hohe suchtpräventive Wirkung haben und die Sie gut in Ihrer Kindertageseinrichtung umsetzen können. Die im Folgenden beschriebenen Methoden eignen sich besonders gut für den Kindergartenbereich. Auch in der Schulkindbetreuung und im Hort können Sie die beiden Ideen umsetzen. Auch wenn zuvor davon die Rede war, dass Suchtprävention nicht früh genug beginnen kann – Suchtprävention kann auch bei Kindern im Schulkindalter einsetzen. Für Suchtprävention ist es nie zu spät!

Spielzeugfreie Zonen im Kindergarten

Eine bewährte suchtpräventive Methode ist das Modell des spielzeugfreien Kindergartens. Die Grundidee ist dabei folgende: Sie schaffen das Fertigspielzeug in Ihrer Einrichtung ab. Die Fantasie der Kinder soll nicht durch vorgefertigte Spielideen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Die Kinder sollen nicht passiv konsumieren, sondern sich selbst etwas einfallen lassen:

  • eigene Spielideen entwickeln,
  • sich kreativ anstrengen,
  • sich in Gruppen zusammenfinden,
  • gemeinsame Ideen entwickeln,
  • verschiedene Vorschläge miteinander diskutieren,
  • sich miteinander auseinandersetzen,
  • Frustrationstoleranz üben,
  • sich gegenseitig von ihren Spielideen überzeugen.

Eine Variante des spielzeugfreien Kindergartens ist die partielle Abschaffung von Spielsachen in einem bestimmten Bereich. Räumen Sie z. B. aus einem Raum alle Spielzeuge heraus. Bitten Sie Ihre Kolleginnen und die Kinder, nur solche Materialien in dieses Zimmer mitzunehmen, aus denen die Kinder selbst etwas schaffen oder konstruieren können, z. B.:

  • Packpapier
  • Kisten und Schnüre
  • Naturmaterialien wie Äste, Moos, Baumrinde, Tannenzapfen, Kastanien Kartons, Eierschachteln, Klebeband
  • Stoffe und Wolle
  • Werkzeuge wie z. B. Scheren oder Klebstoff

Tipp für Ihre Praxis: Beziehen Sie die Kinder bereits in die Planung der spielzeugfreien Zone ein. Befreien Sie den Raum gemeinsam vom Spielzeug. Lassen Sie anschließend das leere Zimmer auf sich wirken, indem Sie sich mit den Kindern dort hineinsetzen und überlegen, was in diesem Raum alles ohne Spielmaterial geschehen könnte. Geben Sie den Kindern Zeit: Sie müssen sich an die spielzeugfreie Zone erst gewöhnen.
In diesem „spielzeugfreien“ Raum können sich Gruppen von Kindern zusammenfinden, die sich gegenseitig ihre Ideen mitteilen und zusammen ihre Spielideen verwirklichen. Sie werden staunen, wie lange sich Kinder ohne das herkömmliche Spielmaterial beschäftigen können und welche Ideen sie entwickeln und weiterverfolgen. Aus der eigenen Praxis der suchtpräventiven Arbeit kann ich Ihnen berichten, dass die Kinder beispielsweise

  • eine Riesenschlange aus Eierkartons und Stoffen basteln,
  • einen ICE mit vielen Abteilen aus großen Kartons bauen,
  • einen Riesenball aus wertlosem Material herstellen oder
  • eine Autorennbahn aus Zweigen mit Rennautos aus Baumrinde oder Tannenzapfen kreieren.

Wesentlich mehr Zeit als mit dem Abstimmen Ihrer Vorschläge und dem Umsetzen der Ideen nutzen die Kinder für das fantasievolle gemeinsame Spiel als Rennwagenfahrer, ICE-Schaffner oder Schlangenbeschwörer. Sie werden rasch bemerken, dass die Kinder ihre herkömmlichen Spielsachen nicht vermissen. Ganz im Gegenteil, die Kinder wirken wie befreit und wollen ihre spielzeugfreie Zone, in der sie ihre eigenen Ideen umsetzen können, nicht mehr aufgeben. Ich kenne Einrichtungen, die bereits mit großem Erfolg seit vielen Jahren spielzeugfrei und nach dem Motto „Langeweile macht kreativ“ arbeiten.

Ein Zirkusprojekt stärkt Kinder physisch und psychisch

Weniger bekannt im Kontext mit Suchtprävention ist die Methode des Zirkusprojekts. Wenn Sie noch keine Erfahrung mit Zirkuspädagogik haben, sollten Sie die Kooperation mit Zirkuspädagogen suchen. Diese kommen gegen Entgelt in Ihre Einrichtung und stellen den Kindern die Möglichkeiten vor, die es in einem Zirkus gibt. Die Kinder können sich frei entscheiden, ob sie am Zirkusprojekt mitwirken möchten. Auch die Rolle, in die die Kinder schlüpfen, suchen sie sich selbst aus.

Die Kinder können wählen zwischen:

  • Akrobatik, z. B. Turnen, Kugellauf, Stelzenlauf,
  • Clownerie, z. B. Kurzeinlagen während des Umbaus oder Pantomime,
  • Fingerfertigkeit, z. B. Jonglage, Hütchenspiel, Diabolo,
  • Zauberei, z. B. Tücher verknoten, (Plüsch)hasen wegzaubern, Münzen schweben lassen,
  • Tanz, z. B. Bändertanz, Twirling, Tüchertanz,
  • Performance, z. B. Dressureinlagen, Scherbenlauf, Fakirshow.

Die Kinder sollten im 1. Teil des Zirkusprojekts die Chance haben, alle Stationen selbst auszuprobieren. Anschließend überlegen sie mit Ihnen gemeinsam, für welche Sparte sie sich entscheiden. In der Regel gehen die Kinder dabei nach ihren entdeckten Talenten vor, die sie nach der Ausprobierphase realistisch schon einschätzen können.
Tipp für Ihre Praxis: Erkundigen Sie sich bei Ihrem örtlichen Jugendamt, welche Zirkuspädagogen einen guten Ruf haben. Fragen Sie beim Erstgespräch mit dem Zirkuspädagogen immer nach Referenzadressen und nach der Erfahrung, die der Pädagoge mit Kindergartenkindern hat. Achten Sie auch darauf, dass der Zirkuspädagoge genügend „Übungsmaterial“ wie Jonglierbälle, Tücher, Diabolos oder Laufkugeln hat. Das Verwenden des Übungsmaterials sollte bereits in den Honorarkosten des Zirkuspädagogen enthalten sein.
An die 1. Testphase schließt sich die Übungsphase an. Dabei trainieren die Kinder gemeinsam mit Ihnen und den Zirkuspädagogen 1- bis 2-mal wöchentlich. Sie erkennen dabei rasch, wie sie durch Fleiß, Ehrgeiz und Übung Fortschritte erzielen können. Diese Erkenntnis ist für die Kinder sehr wichtig, denn sie verhilft ihnen über so genannte „Durststrecken“ hinweg, in denen sie beispielsweise neue Kunststücke vorbereiten oder Misserfolge erleben. Zudem gelingt es Kindern, diese Erfahrung auf andere Lebensbereiche zu übertragen.

Durch das Zirkusprojekt, das immer in einem gemeinsamen Auftritt vor Publikum münden sollte, lernen die Kinder Folgendes:

  • mit eigenen Frustrationen umzugehen,
  • Grenzerfahrungen zu erleben,
  • sich selbst zu immer höheren Leistungen anzuspornen,
  • durch Übung und Training ihre eigene Leistung zu steigern,
  • Mut zu entwickeln für den öffentlichen Auftritt,
  • mit Stolz auf die eigenen Leistungen zu blicken,
  • Frustrationstoleranz aufzubauen, für den Fall, dass Übungen zu schwer sind oder Ziele nicht erreicht werden können,
  • Selbstbewusstsein zu entwickeln,
  • Selbstsicherheit und Zuversicht aufzubauen und
  • Widerstandskräfte erheblich zu stärken.

Tipp für Ihre Praxis: Auftrittsmöglichkeiten, bei denen die Kinder ihre im Zirkusprojekt erlernten Künste zeigen können, gibt es in Kindertageseinrichtungen zur Genüge. Besonders gut eignet sich jedoch ein Fest, das viel Publikum erwarten lässt. Streben Sie deshalb einen Auftritt am Stadtteil- oder Sommerfest an.
Früh übt sich, wer ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben führen will! Diese Weisheit trifft den Kern der Suchtprävention ziemlich genau. Helfen Sie gezielt mit, die Handlungskompetenz der Kinder Ihrer Einrichtung zu stärken und sie zu mündigen Menschen zu erziehen.