Wenn Kinder zwischen 3 und 4 Jahren „lügen“, gehen Phantasie und Wirklichkeit ineinander über. Wenn der kleine Marc erzählt, sein Vater sei Astronaut oder die Mutter Filmstar, ist dies keine Lüge, sondern Wunschdenken, an das er in diesem Moment selbst glaubt. Auch die Porzellanfigur, die der Hund angeblich mit seinem Schwanz zerbrochen hat, ist keine Lüge. In diesem Augenblick wünscht sich Marc, es wäre tatsächlich so gewesen. In Wirklichkeit hat er die Porzellanfigur selbst umgeworfen.
Zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr (die Altersangaben sind nur Richtwerte, da es ganz entscheidend auf den Entwicklungsstand der Kinder ankommt) sind Kinder fähig, bewusster zu lügen. Meist aus Angst vor Strafe oder aus Höflichkeit. Wenn ein Erwachsener allerdings ernsthaft die ausgedachte Geschichte hinterfragt, platzt das „Lügengebilde“.
Erst ab etwa 9 Jahren werden Lügen ganz gezielt eingesetzt. Entweder um ein Ziel zu erreichen oder um eine Sache zu vertuschen. Sie als Erzieherin im Hort haben vermehrt mit Jugendlichen in der Pubertät zu tun, die das Lügen bewusst einsetzen.
Beispiel: Anna war nach der Schule, statt in den Hort zu kommen, mit ihrer Freundin im nahe gelegenen Einkaufszentrum bummeln. Sie warten und machen sich große Sorgen, weil Anna normalerweise immer pünktlich ist. Sie rufen bei der Mutter an, die völlig aufgelöst in den Hort eilt. 2 Stunden später ist Anna wieder da. Sie hat ein schlechtes Gewissen. Sie erzählt: „2 Jungen haben uns auf dem Heimweg am Park angehalten und wollten uns die Jacke ,abzocken‘. Sie hielten uns fest und verlangten zusätzlich „Wegegeld‘. Erst als wir ihnen 5 gegeben haben, ließen sie uns gehen.“
Annas Mutter und Sie rufen sofort die Polizei. Die leitet eine Fahndung nach den Jugendlichen ein. Erst als Anna bei der Polizei eine genaue Beschreibung der Jugendlichen abgeben soll, erkennt sie, welche Folgen ihre Geschichte haben kann, und rückt mit der Wahrheit heraus. Sie sind entsetzt. Die Mutter ist empört. Wie reagieren Sie in einem solchen Fall richtig?
Wenn in Ihrem Hort die „Märchen“, die die Kinder erzählen, überhand nehmen, bieten Sie ihnen doch ein wirkliches Abenteuer wie z. B. eine Nachtwanderung an. Wenn Sie ein Hortkind bei einer Lüge ertappen, „verhören“ Sie das Kind nicht. Es verstrickt sich sonst noch tiefer in sein Lügengebilde. Geben Sie Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken. Loben Sie dann den Mut, die Wahrheit gesagt zu haben.
Eltern sind oft überfordert, wenn sie auf die Lügen ihrer Kinder reagieren müssen. Deswegen ist es den Eltern eine große Hilfe, wenn Sie ihnen Ihre Erfahrungen anbieten und ihnen konkrete Hilfen geben, wie sie mit den lügenden Kindern das Gespräch suchen können.
Erklären Sie den Eltern, dass es für die Kinder nicht einfach ist, mit Lügen umzugehen. Lügen die Hortkinder und kommt es heraus, wird es als ein großer Fehler dargestellt. Auf der anderen Seite erleben die Hortkinder aber immer wieder, wie ihre Eltern tagtäglich sich mit Notlügen aus Situationen herauswinden. Ihre und die Aufgabe der Eltern ist es, den Kindern den Unterschied zwischen Lügen, zu denen gegriffen wird, um jemanden bewusst zu täuschen, und Lügen, zu denen gegriffen wird, um andere nicht zu verletzen, zu vermitteln.
Oft ist es die Angst vor der Strafe, die die Kinder zu Lügen greifen lässt. Sie haben Angst vor den Konsequenzen, die von ihnen meist nicht genau eingeschätzt werden können. Verdeutlichen Sie den Eltern, dass ein Kind gelobt werden muss, wenn es bei der Wahrheit bleibt, auch wenn diese unangenehm ist. Sagen Sie ihnen auch, dass ein Kind mehr Mut beweist, wenn es die Wahrheit sagt, als wenn es lügt.
Eltern dürfen keine Lügen dulden. Sie müssen konsequent bleiben. Wenn sie ihr Kind bei einer Lüge ertappen, muss die Konsequenz immer schlimmer sein, als es die Wahrheit gewesen wäre. Lügen darf sich niemals lohnen!
Lügen sind oft vielschichtig. Aus Ihrer Erfahrung können Sie einschätzen, um welche Art von Lüge es sich handelt. Doch immer wieder ist der richtige Umgang damit eine Herausforderung – an Sie, an Ihre Mitarbeiterinnen und an die Eltern.